Das Sammelgebiet Brustschilde

Am 18.Januar 1871, gegen Ende des Krieges zwischen Deutschland und Frankreich, wurde König Wilhelm von Preußen zum Kaiser des neu gegründeten Deutschen Reiches ausgerufen. Die Verfassung des Kaiserreichs trat am 4. Mai 1871 in Kraft. Dies war auch der erste Tag der "Deutschen Reichspost". Sie umfasste den ehemaligen Norddeutschen Postbezirk, die neuen „Reichslande Elsass-Lothringen" und ab 01.01.1872 auch das Großherzogtum Baden. Die Königreiche Bayern und Württemberg gehörten zwar zum Deutschen Reich, aber nicht zum Reichspostgebiet; sie behielten ihre eigene Posthoheit.

Durch kaiserliche Kabinettsorder wurde vorgeschrieben, dass zur graphischen Gestaltung der Reichspost-Freimarken "als Emblem der gekrönte Reichsadler, und auf dessen Brustschild der preußische Adler anzubringen sei". Bei Vorlage der ersten Druckessays machten beratende Heraldiker und Historiker und nicht zuletzt Seine Majestät selbst Einwände, die zu mehreren Korrekturen führten:

1.) Änderung der so genannten Aachener Krone in eine symmetrische Vierbügelausführung mit Reichsapfel und Kreuz sowie zwei flatternden Bändern nach Art der bischöflichen Mitra.

2.) Der kleine preußische Adler auf dem Brustschild erhielt das schwarz-weiße Hohenzollern­wappen, um damit zu betonen, dass nicht Preußen das deutsche Kaiserreich regiere, sondern primär das Haus Hohenzollern.

3.) Der hierdurch notwendigerweise vergrößerte Brustschild wurde noch mit der Kette und dem Orden vom Schwarzen Adler umhängt.

Kleiner Schild
Großer Schild

 

Ausdrücklich wurde aus Kosten- und Zeitgründen jedoch verfügt, die bereits fertige Briefmarkenserie mit Aachener Krone und kleinem Brustschild sei am 1. Januar 1872 in den postalischen Verkehr zu bringen (DR 1-11, 14-15). Erst nach deren Aufbrauch komme die Ausgabe der korrigierten Marken mit großem Brustschild in Betracht. Dies geschah dann ab Juni 1872 (DR 16-30). Die hohen Markenwerte von 10 und 30 Groschen (DR 12 und 13) wa­ren nach wie vor nur vom Schalterbeamten selbst zu verwenden. Sie blieben grafisch unverän­dert bis auf die neue Bezeichnung "Deutsche Reichs-Post".

Mit Recht dürfen die so genannten Brustschildausgaben des erneuerten Deutschen Kaiserreichs als letzte klassische deutsche Briefmarkenserie bezeichnet werden. Dem angesehenen Grafiker Heinr. G. Schilling war in der Kombination von Buch- und Prägedruck ein Entwurf gelungen, der an Ausgewogenheit in den folgenden Jahrzehnten kaum mehr erreicht wurde. Die Marken wurden in Groschen/Thaler- und Kreuzer/Guldenwährung ausgegeben, gemäß der im Reich noch bestehenden zweierlei Währungen; eine Besonderheit, die sich durch die allgemeine Einführung der Reichsmark (1875) nicht mehr wiederholen konnte.

Die politischen und sozialen Veränderungen als Folgen des unseligen Krieges 1870/71 waren sowohl in Frankreich als auch in Deutschland auf allen Gebieten spürbar. Um bei der Philatelie zu bleiben: Es bestand bei Friedensschluss kein postalischer Vertrag mehr zwischen beiden Ländern. Es sollte mehr als ein Jahr dauern, bis man sich auf neuer Basis einigte. In der Zwischenzeit wurde der private und geschäftliche Postverkehr einfach nach den bestehenden Postverträgen abgewickelt.

Für den von Deutschland annektierten Teil von Elsass/Lothringen war zu Beginn der Brust­schildzeit am 1. Jan.1872 noch die Notlösung der „Doppelfrankatur“ zu beachten. Dies bedeu­tete, Briefe von und nach dem ehemaligen Mutterland Frankreich mussten in beiden Währungen (also mit doppelten Kosten) frankiert werden, da grenzüberschreitend kein Porto verrechnet wurde. Den Nachteil von dieser Prozedur hatte die, ohnehin vom Krieg stark geschädigte, einheimische Bevölkerung zu tragen.

Erst am 15. Mai 1872 trat nach mühsamer Aushandlung ein Postvertrag zwischen Frankreich und Deutschland in Kraft. Ein einfacher Brief mit 10g Gewicht kostete von Frankreich nach Deutschland 25 Centimes Porto. Umgekehrt waren für die erste Gewichtsstufe von 10g 3 Groschen oder 9 Kreuzer zu frankieren. Diese Gebühren galten dann auch für Post nach und aus Elsass und Lothringen.

Es nimmt nicht wunder, dass die philatelistische Beliebtheit der Brustschildmarken von Anfang an bis zum heutigen Tag ungebrochen ist, sind doch die möglichen Interessensgebiete für das Sammeln der Michelnummern 1-30 nebst der Ganzsachen außerordentlich groß. Jeder findet seine Nische, die bei zunehmender fachlicher Kenntnis immer fesselnder wird.

Mit gleicher Intensität wie mit den Poststempeln beschäftigen sich die Brustschildsammler selbstredend auch mit "der Marke" und deren Besonderheiten. Es fängt an mit kleinen und großen Marken zwischen 14 und 16 Zähnungslöchern sowie den Farbabweichungen, die in den Katalogen als a-, b-, und c-Besonderheiten geführt werden. 

Das Interesse an Druckplattenfehlern nimmt noch immer zu; vor allem seit von drei Arge­-Mitgliedern (Karl-Peter Klein, Günther Hesselbarth, Martin W.Sommer) ein einschlägiges Handbuch herausgegeben wurde. Auch hier liegt inzwischen schon eine 2. umfangreichere Auflage aus dem Jahr 2000 vor. Eine dritte Auflage der Autoren Josef Köjer und Hansmichael Krug erschien 2016 im Schwaneberger Verlag.

Fehlende Zähnungslöcher sind an Brustschildmarken nicht ganz selten. Sie gehen ursächlich auf technische Mängel der frühen Zähnungsmaschinen zurück und führen durch ihr unterschiedlichen Positionen immer wieder zu heißen Diskussionen zwischen den einschlägigen Experten.

Für detaillierte Beschreibungen der Plattenfehler empfehlen wir Ihnen die Lektüre des im Schwaneberger Verlag erschienenen MICHEL-Katalogs zu den Plattenfehlern der Brustschildausgaben. Darin finden Sie alle bislang bekannten Plattenfehler ausführlich erklärt, katalogisiert und bewertet. Ausserdem weiterführende Informationen zu den oben genannten Themen. Dieser Katalog ist auch Teil unserer Publikationen, denn er wurde durch Mitglieder unserer Arbeitsgemeinschaft erarbeitet.