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Privat-Anzeigen-Faltbriefe

  • Hansmichael Krug, Burgfriedenstraße 42, 60489 Frankfurt/Main
  • Peter Beutin, Am Dorfteich 11, 18059 Rostock

Terminologie

Privat-Anzeigen-Faltbrief (Abk. PAF) ist der Terminus, den die Autoren Joachim Strahlendorff und Peter Mette in ihrem Standardwerk "Katalog der Privatganzsachen Deutschland bis 1945" eingeführt haben und welchen wir für diesen Artikel übernehmen.

Damit bezeichnet werden gefaltete Bogen unterschiedlicher Papierformate mit anhängender Verschlussklappe, welche innen mit Werbeanzeigen bedruckt sind und außen einen amtlichen Wertstempeleindruck tragen. Der unbedruckte Teil konnte zum Einfügen privater Mitteilungen genutzt werden.

Solche PAF mit amtlichen Wertstempeln wurden erstmals zur Brustschildzeit "erfunden", und anschließend mit unterschiedlichen Wertstempeleindrucken noch bis in die Inflationszeit 1922 weiter hergestellt.

Dieser Artikel stellt die PAF mit eingedrucktem Brustschild-Wertstempel dar, beschreibt ihr Entstehen sowie die zugrunde liegende Geschäftsidee und skizziert das heute bekannte Vorkommen.

Innenseite des Anzeigenfaltbriefes Litt. A./Ser. III

Die Entstehung dieser besonderen Kommunikationsform wurde möglich durch die Mitteilung der Preußischen Staatsdruckerei, wonach „von jetzt ab die Abstempelung fertiger Briefcouverts, Streifbänder und Postkarten mit dem Postfrankierungszeichen (Freimarkenstempel)“ übernommen werde. Diese Mitteilung wurde als General-Verfügung No. 267 im Amtsblatt No. 94 vom 05.12.1872 der Reichspost veröffentlicht.

Geschäftsidee

Diese Ankündigung nutzte ab November 1873 der Besitzer der "Brief- und Druckschriften-Expedition‚ Berlin", J.J. Schreiber, um nachfolgend "Annoncen-Briefe in Form eines Briefbogens mit Schlussvorrichtung incl. einer Silbergroschenmarke zur Benutzung für Privat-Correspondenzen für nur 2 Pfg. pro Stück" zu drucken.

Bei diesen Briefbogen im Kanzleiformat (447x286 mm) mit rechts anhängender Verschlussklappe standen auf der Innenseite 48 Felder (genannt "Originalraum") von ca. 3 x 7 cm für den Eindruck von Werbeanzeigen zur Verfügung. Um diese zu füllen, warb Schreiber in Berlin um Inserenten, denen er Insertionsgebühren in folgender Staffel anbot:

1 Originalraum in 1.000 Briefen für 3 Thaler, 15 Silbergroschen
1 Originalraum in 5.000 Briefen für 15 Thaler
1 Originalraum in 10.000 Briefen für 30 Thaler
1 Originalraum in 20.000 Briefen für 60 Thaler

Dieses Angebot nutzten nachfolgend 51 Firmen, die in unterschiedlichen Auflagen einzelne oder auch mehrere Originalräume für Werbung nutzten bzw. kauften. Durch die Werbeeinnahmen konnte Schreiber die PAF für nur 2 Pfennig, also deutlich unter Nominalwert, an das Publikum verkaufen.

Anzeigenfaltbrief Litt. D./Ser. V in Hamburg verwendet

Aus einer zuverlässigen Literaturquelle (C. Lindenberg) wissen wir, dass Schreiber am 25. August 1873 zunächst einen Probeauftrag von 150 Exemplaren eines Bogens mit Kästchenvordruck und 5 Musterinseraten von der Staatsdruckerei mit dem Wertstempel 1 Groschen der Type 15 bedrucken ließ. Dabei soll ein Teil der Wertstempel mit einem Diamantüberdruck „Diese Marke darf anderweitig nicht verwendet werden“ versehen worden sein. Belege dafür liegen uns nicht mehr vor.

Wohl aber kennen wir den Probedruck ohne diesen Überdruck als seltenen Beleg für den Vorlauf der Schreiberschen Geschäftsidee.

Rechter Teil des Musterbogens

Lindenberg berichtet weiter, dass am 12. November 1873 dann eine Auflage von 20.000 Stück geordert worden sei, bedruckt mit dem Wertstempel 1 Groschen der Type 20, von denen 19.474 fehlerfreie Bogen ausgeliefert worden seien.

Vorarbeit Schreiber

Die für diesen Auftrag an die Preußische Staatsdruckerei gelieferten Bogen hatte Schreiber vorab in seinem Hause drucken lassen. Als Beleg für diese Reihenfolge der Herstellung (erst Innendruck, dann Wertstempel) lassen sich auf den Rückseiten der gedruckten Wertstempel eindeutige schwärzliche Simultandruck-Spuren erkennen, die von Farbresten der jeweils vorher eingelegten PAF-Bogen herrühren.

Die von den 51 Inserenten belegten Originalräume für Werbung waren jedoch für sehr unterschiedliche Auflagenhöhen angekauft worden:

Vier Firmen wollten nur einmal in 1.000 Bogen auftreten, wogegen immerhin 21 Firmen den Werberaum für alle Bogen geordert hatten.

Um diesen Forderungen gerecht werden zu können, ließ Schreiber die Bogen der PAF in 20 verschiedenen Konfigurationen herstellen, dabei sind Litt. A/Ser. I für Posen und die bisher nicht bekannten Litt. B./Ser. I und Litt.B./Ser. III mitgezählt.

Zur Unterscheidung dieser verschiedenen Konfigurationen fügte er den PAF in der Kopfzeile differenzierende "Litt."-Buchstaben A bis D (links) und "Ser."- Nummern I bis V (rechts) ein.

Bei den "Litt." A mit den Versionen II bis V und "Litt." B mit Version II haben wir festgestellt, dass einzelne Inserenten je nur einmal auftreten. Das heißt, dass diese Litt./Ser. – Kombinationen jeweils auch nur in Auflagen von 1.000 Stück gedruckt worden sind.

In den Auflagen der "Litt." C und D gibt es dagegen deutlich weniger Änderungen des Inseratenbildes.

Weil es dieses unterschiedliche Ordervolumen von Anzeigen gab, musste Schreiber zwangsläufig für jeden dieser Fälle eine neue Auflage drucken und herausgeben, denn wer nur für eine einmalige Werbeannonce gezahlt hatte, sollte auch nur einmal erscheinen.

Die von uns ermittelten Konfigurationen von Auflage und Inserat waren wie folgt:

Auflage       1.000 für          4 Inserenten

Auflage       2.000 für          6 Inserenten
Auflage       3.000 für          6 Inserenten
Auflage       4.000 für          1 Inserent
Auflage       5.000 für          3 Inserenten
Auflage       6.000 für          2 Inserenten
Auflage       7.000 für          1 Inserent
Auflage     10.000 für          2 Inserenten
Auflage     12.000 für          1 Inserent
Auflage     13.000 für          5 Inserenten und schließlich
Auflage     20.000 für        21 Inserenten

Vermarktung

Insgesamt kennen wir 17 (der theoretisch vorhandenen 20) Konfigurationen der Anzeigenseite:

  • Litt. A. / Ser. II – V(= 4)
  • Litt. B. / Ser. II , IV und V (= 3)
  • Litt. C. /Ser.  I – V(= 5)
  • Litt. D. / Ser. I – V(= 5)
Anzeigenfaltbrief Litt. D./Ser. IV in Neustadt (Eberswalde) verwendet

Ob Schreiber die insgesamt fast 20.000 PAF alle "an den Mann gebracht" hat, ist nicht zu ermitteln. Zwar sagte die Schreiber’sche Notiz in den PAF einerseits, dass den Inserenten "…das Recht eingeräumt (wird) für den eigenen Verbrauch eine größere Anzahl Briefbogen sich reservieren zu lassen…". Aber vorher steht die Aussage, dass die Annoncenbriefe "…zur Benutzung für Privat-Correspondenzen für nur 2 Pfg. pro Stück verkauft werden". Mithin kann man vermuten, dass Schreiber über seine 53 Berliner Vertriebsstellen in erster Linie an Privatleute verkaufen wollte. Ob dieses Konzept aufging muss heute offen bleiben. Wir nehmen aus der Befundlage eher an, dass Schreiber mit der Zielrichtung "Verkauf an das breite Publikum" keinen Erfolg hatte und auf großen Mengen seiner PAF sitzen blieb.

Kostenberechnung

Gleichwohl hat er mit den Anzeigen in den uns bekannten Auflagen seiner PAF recht gut verdient. Auf Basis der von Schreiber geforderten Kosten für Annoncen hat er allein für die Inserate ca. 1.800 Thaler eingenommen. Diese Einnahmen zeigt die nachfolgende Übersicht:

Aufträge / Firmen Auflage Einnahmen/Thaler

4

1000

14

6

2000

42

6

3000

63

1

4000

14

3

5000

45

2

6000

36

1

7000

21

2

10000

60

1

12000

36

4

13000

156

21

20000

1260

  • Einnahmen gerundet 1700
  • + Einnahmen aus Verkauf ca. 100
  • Gesamteinnahme Fa. Schreiber ca 1.800 Thaler


Demgegenüber entstanden ihm Ausgaben für Druck und Stempelung wie folgt:

  • Druck Wertstempel Staatsdruckerei 20.000 x 1 Groschen = 20.000 Groschen = ca. 666 Thaler
  • Arbeitskosten der Staatsdruckerei 17,5 Groschen pro 1000 Stück x 20 = ca. 12 Thaler
  • Eigenkosten Druck und Papier ca. 300 Thaler
  • Gesamtausgaben ca. 1.000 Thaler

Die Autoren kommen zu dem Schluss, dass Schreiber mit diesen ca. 20.000 PAF den nicht unerheblichen Gewinn von etwa 800 Thaler verbuchen konnte.

Allerdings: Auf einem der uns vorliegenden PAF ist der Handstempel "Zeitung-Steuer" abgedruckt. Diese Abgabe ist uns der Höhe nach nicht bekannt. Auch taucht dieser fiskalische Stempel nur auf einem ungebrauchten Beleg-Exemplar auf und kann daher nicht auf seine Kostenrelevanz geprüft werden. Aber natürlicherweise hätten diese und andere Steuern den Gewinn geschmälert.

Das schnelle Ende

Schon im August des Folgejahres hat J.J. Schreiber seine Geschäftstätigkeit auf diesem Felde beendet. Dazu finden wir in einem an Werninck, London, gerichteten PAF eine Mitteilung vom 18.08.1874, in welcher es heißt "…dass wir mit dem 15.d.M. unser bisher betriebenes Geschäft aufgelöst haben".

Ausgabe für Posen

Anzeigenfaltbrief für Posen Litt. A./Ser. I. in Posen verwendet.

Gleichzeitig mit den bislang geschilderten Ausgaben für Berlin druckte Schreiber eine eigene PAF-Ausgabe für Posen, die auch überwiegend mit Posener Firmenwerbung bedruckt worden ist. Diese Ausgabe ist gekennzeichnet mit "Litt.A." und "Ser. I." und ist nach Kenntnis der Verfasser einmal als Probedruck auf blauem Papier (ein Belegstück im Archiv für Philatelie, Bonn) und anschließend (nach Lindenberg) in 1000er Auflage auf weißem Papier gedruckt worden. Diese Bogen tragen in der Kopfzeile den Vermerk "Zweite Auflage (Separatausgabe für die Provinz Posen) December 1873".

Rechte Innenseite des Posener Anzeigenfaltbriefes

Auch für diese Ausgabe fordert Schreiber die für Berlin geltenden Insertions-Gebühren für einen Originalraum:

  • in 1.000 Briefen für 3 Thaler, 15 Silbergroschen "mit Reservierungsrecht auf 18 Briefe"
  • in 5.000 Briefen für 15 Thaler "mit Reservierungsrecht auf 90 Briefe usw.

Interessant ist, dass diese Ausgabe erst nach den Berliner Bogen, nämlich erst am 12. Dezember 1873 in einer Auflage von 1000 Stück von der Preußischen Staatsdruckerei mit dem Wertstempel zu 1 Groschen der Type 18 bedruckt wurde.

Ausgabe für Breslau

Aus Breslau sind Anzeigenfaltbriefe mit dem Druckvermerk "Druck von Fiedler & Hentschel, Breslau" am 26. Juli 1874 in einer Auflage von 1000 Bogen an die Preußische Staatsdruckerei in Berlin zum Bedrucken mit einem 1 Groschen Wertstempel eingereicht worden. Der Wertstempel von 1 Groschen hat die Type 24. Die Bogen im Format 462x290 mm mit spitzer Verschlussklappe haben innen nur 20 Anzeigen Breslauer Firmen. Es fehlen Angaben über Annoncenpreise, Verkaufspreise für die Briefbogen und den Unternehmer.

Teil des Innendrucks des Breslauer Anzeigenfaltbriefes

Registratur

Serie

Abgangsort

Datum

Bestimmungsort

A

I

Posen

07.03.1874

Berlin

A

I

**

Papierfarbe weiß

Archiv Bonn

A

I

**

Papierfarbe blau

Archiv Bonn

A

II

Berlin P.A.44

24.11.1873

Berlin

A

II

Berlin P.A.44

24.11.1873

Berlin

A

II

Berlin P.A.44

24.11.1873

Berlin

A

II

Berlin

18.01.1874

Elberfeld

A

III

Berlin P.A.44

28.11.1873

Breslau

A

III

**

 

 

A

IV

Berlin StPA

30.11.1873

Goerlitz

A

V

Berlin P.A. 45

26.11.1873

Hamburg

A

V

Berlin P.A.44

25.11.1873

Osterode

A

V

Berlin P.A.44

13.02.1874

Stuttgart

 

 

 

 

 

B

II

Berlin PE 29

06.01.1874

Niederschelden

B

II

Berlin PA No.41

13.01.1874

Schmalenbucha

B

IV

Berlin

29.06.1874

London SE

B

IV

Berlin

25.03.1874

Cammin

B

IV

Berlin.

09.05.1874

London SE

B

IV

Berlin PE 13

04.02.1874

Stettin

B

V

Berlin P.A. 13

25.02.1874

München

B

V

Berlin HStPE

13.12.1873

Treptow/Rega

B

V

Berlin PA 44

31.08.1874

Leipzig

B

V

Berlin PE 11

20.07.1874

Breslau

B

 

Berlin PA 44

18.08.1874

London SE

B

V

**

 

 

 

 

 

 

 

C

I

Berlin PA 44

18.08.1874

Posen

C

I

Berlin, W. PA 8

08.04.1875

Crefeld

C

I

Berlin PA 8

08.12.1873

Frankfurt/M

C

II

Berlin

19.12.1873

Zittau

C

II

Berlin

13.12.1873

Seidenberg

C

III

Berlin PE 13

15.12.1873

Dresden

C

III

**

 

 

C

III

**

 

 

C

IV

Posen

16.06.1874

Berlin

C

V

Berlin P.E.9

25.11.1873

Berlin

C

V

Berlin P.A.44

30.11.1873

Posen

 

 

 

 

 

D

I

Berlin

02.02.1875

Wien

D

I

Berlin PA 49

30.12.1873

Offenbach

D

II

**

 

 

D

II

Merzig

08.12.1873

Berlin W.

D

III

Berlin

02.12.1873

Petersdorf

D

IV

Berlin PA44

09.02.1874

Leipzig

D

IV

Neustadt E/W

28.11.1873

Leipzig

D

IV

Berlin P.A.43

01.12.1873

Landsberg/W

D

IV

**

 

 

D

IV

Berlin P.A.44

28.11.1873

Leipzig

D

IV

**   

 

 

D

IV

Berlin PE 29

11.12.1873

Frauendorf

D

 

Hamburg Bhf

26.11.1874

Mannheim

D

V

**

 

 

 

 

 

 

 

 

IV

Berlin

23.02.1874

Wittenberge

 

IV

Berlin

14.07.1874

Treptow/Rega

 

II

Berlin

06.06.1874

Wittenberge

 

 

Berlin P.A.7

29.12.1873

hier

 

 

Berlin P.A.44

26.12.1873

 

 

V

Berlin P.A.5

25.11.1873

Dillenburg

 

V

Berlin P.A.44

27.11.1873

Osterode

 

V

Hamburg

09.06.1874

Cassel

 

 

Marburg

29.12.

Frankfurt/M

 

 

Neustadt E/W

17.12.1873

Liepe

Schlussbemerkungen

PAF sind generell selten. Die uns bekannten bedarfsverwendeten Faltbriefe sind ganz überwiegend geschäftlicher Korrespondenz zuzuordnen. Solches Material verschwand nach Kenntnisnahme regelmäßig im Papierkorb oder in Ablagen. Privat beschriebene PAF sind uns bisher nicht bekannt.

Aus den unterschiedlichen Auflagenhöhen kann man Rückschlüsse auf die Seltenheit ziehen. Deshalb kann gesagt werden, dass z.B. die PAF mit Litt.-Buchstaben A., die ja aus 1.000er Auflagen stammen, allesamt sehr selten sind.