Herstellungsschritte der Brustschildausgaben
Hartmut Ringen, Frankfurt / Main
Die Reihenfolge der einzelnen Herstellungsschritte der Brustschildausgaben der deutschen Reichspost
Zu der Abfolge der einzelnen Schritte bei der Herstellung gibt es bisher leider keine überlieferten Beschreibungen aus der Druckerei oder aus anderen Quellen. Deshalb gibt es diesbezüglich Raum für Spekulationen und Unsicherheiten bei der Beurteilung sichtbarer Merkmale auf den Marken.
Unstrittig bei der Interpretation des vorliegenden Materials ist, dass nach der Papierherstellung und des Zuschnitts zunächst die Gummierung vorgenommen wurde. Ebenfalls unstrittig scheint uns, dass die Zähnung der Marken der letzte Herstellungsschritt war. Zu Bedenken ist immer, dass es wie bei allen Produktionsvorgängen Unregelmäßigkeiten in der Herstellung gegeben haben kann und dass Ausnahmen von einer vorgesehen Reihenfolge möglich oder sogar wahrscheinlich waren. Sichtbare Ergebnisse solcher Pannen sind dann Doppelprägungen, versetzte Zähnungen und Prägungen, ungezähnte Marken und Plattenfehler aller Art.
Ob der Druck vor der Prägung oder die Prägung vor dem Druck erfolgte, darüber gibt es unterschiedliche Theorien. Beide Schrittfolgen sind offensichtlich technisch möglich, für beide Schrittfolgen gibt es Belege, die eine entsprechende Reihenfolge nahelegen. Nach Auswertung aller bisherigen Forschungsergebnisse vermuten wir, dass folgende Reihenfolge geplant und vorwiegend umgesetzt wurde:
- Papierherstellung und -zuschnitt
- Gummierung
- Druck
- Prägung
- Zähnung
Das Papier
Die Herstellung der Marken erfolgte in der Königlich Preußischen Staatsdruckerei in Berlin, die später in den Besitz des Deutschen Reiches überging und ab 1879 Reichsdruckerei hieß. Zur Herstellung der Marken wurde ein besonders alterungsbeständiges und relativ reißfestes Papier verwendet. Dieses sogenannte Hadernpapier wurde vor dem Druck zu Bogen für 10 x 15 Marken zuzüglich Rand zugeschnitten. Dieses Papier besteht im Wesentlichen aus Textilfasern, die auch aus Altkleidern gewonnen wurden, weshalb der Begriff Lumpen- und Hadernpapier gebräuchlich ist.
Die Gummierung
Die Bogen wurden auf einer Maschine, die durch die Druckerei selbst konstruiert wurde, zunächst gummiert. Es gab keine Greifer oder ähnliche Haltevorrichtungen für die Bogen. Die Bogen wurden auf ein breites metallisches Tuch gelegt, das wie ein Treibriemen endlos über zwei Walzen gespannt und gezogen wurde. Unter dem Tuch wurde ein Unterdruck erzeugt, so dass das Papier darauf anhaftete und nicht verrutschen konnte. Die einzelnen Bogen wurden über eine Papierzuführung so auf dieses Band aufgebracht, dass jeder Bogen mit seinem Vorderrand ca. 1 cm unter dem Hinterrand des vorherigen Bogens lag und so quasi ein endloser Papierbogen unter der Gummiervorrichtung durchgeführt wurde. Die Gummierung selbst erfolgte mit zwei Bürsten zum Auftragen und Verteilen des Gummis. Die fertig gummierten Bogen wurden einzeln am Ende der Maschine abgenommen und auf Trockenrahmen gelegt. (Die Beschreibung der Maschine stammt aus der Denkschrift Die Reichsdruckerei in Berlin 1885
).
An Bogenrändern kann man heute noch deutlich erkennen, dass fast immer nur an den Ober- oder Unterrändern ein ca. 0,3 bis 1cm breiter Streifen an der Kante ohne Gummi ist. Die Seitenränder hingegen sind fast immer bis zum äußersten Rand durchgehend gummiert. Auch dass die Gummierung vor der Prägung erfolgte, ist logisch, denn sonst hätte sich innerhalb der Prägung das Gummi entweder sammeln müssen oder hätte einige Stellen innerhalb der Prägung nie erreicht. Die Gummierung ist aber gleichmäßig, sowohl innerhalb des Prägefeldes, als auch drumherum. Damit ist klar, dass die Gummierung vor der Prägung erfolgte.
Druck und Prägung
Nach dem Trocknen wurden die Bogen bedruckt und danach geprägt. Für diese vorrangig geplante und gewählte Reihenfolge sprechen verschiedene Beobachtungen und Merkmale bei den Gummistrukturen, den Schraubenkopfabdrucken und den Bogenrandmarkierungen.
Bei den Brustschildmarken finden sich unterschiedliche Punktierungen in Markenfarbe auf den Bogenrändern. Um sie zu deuten, lohnt ein Vergleich mit Drucken aus der vorherigen Markenperiode (NDP). Bei den Ausgaben der NDP sind an den Bogenober- und unterrändern Markierungspunkte über dem Feld 6 bzw. unter dem Feld 146 angebracht. Die Arbeitsgemeinschaft NDP geht davon aus, dass die Punktierungen als Anlegepunkte für die Zähnung dienten. Dies ist eine nachvollziehbare und die zurzeit einzig sinnvolle Erklärung für das Bestreben, den Produktionsvorgang zu verbessern.
Bei den Brustschildmarken kommt nun ein zweiter Punkt oben (zwischen Feld 5 und 6) und unten (zwischen Feld 145 und 146) hinzu. Da bei den Brustschilden gegenüber den NDP-Marken mit der Prägung ein weiterer Produktionsvorgang hinzukam, diente die zweite Punktierung ebenso nachvollziehbar als Anlegepunkt für die Prägung.
Schließlich sieht man auf Bogen der MiNr. 29 und 30 (Marken mit Aufdruck im Prägefeld) oben über Feld 5 und unten unter Feld 145 je eine dritte Punktierung. Da für den Aufdruck der Wertziffern im Prägefeld ein weiterer Druckvorgang erfolgte, erscheint es folgerichtig, dass diese Punktierung an Anlegepunkt für den Aufdruck diente.
Auch die Schraubenkopfabdrucke und ihre typische gleichmäßige Farbgebung auch über die vertieften bzw. erhabenen Stellen innerhalb der Prägung hinweg zeigen, dass die Farbe zuerst da war, denn sonst wäre sie auf der Prägung unterschiedlich verlaufen.
Und nicht zuletzt die Brüche im Gummi legen den Schluss nahe, dass die Marke bereits vor dem Druck gummiert worden ist. Über den Verlauf dieser Brüche ist der Autor überhaupt erst auf die Idee gekommen, den Produktionsprozess näher zu betrachten.
Unstrittig ist, und den Spezialisten auch bekannt, dass ein Original-Gummi brüchig ist und sehr viele Bruchlinien aufweist, die auf den ersten Blick eher chaotisch und scheinbar ohne festes Schema verlaufen. Bei näherem Hinsehen erkennt man aber, dass die Bruchlinien sehr wohl einem Schema folgen. Insbesondere um die Zähnungslöcher herum sind die Bruchlinien eher kreisförmig, wie konzentrische Kreise im Wasser um die Eintauchstelle eines Steins - nur sehr klein und fein, aber deutlich erkennbar. Daraus kann man schließen, dass die Marken gummiert waren, bevor sie gezähnt wurden
Weiterhin gibt es ein Muster um die unbedruckte, für die Prägung vorgesehene Fläche herum. Dieses Muster ist ähnlich den kleinen Kreisen um die Zähnungslöcher, nur dass es sich um größere Bruchlinien unterhalb der gedruckten Innenkreise handelt. Diese kreisförmigen Bruchlinien haben in unmittelbarer Nähe der gedruckten Innenkreise einen deutlich kleineren Abstand zueinander als an den etwas weiter außen liegenden Bruchlinien.
Und ganz entscheidend: Diese Bruchlinien verlaufen immer unterhalb und in ungefähr gleichem Durchmesser der gedruckten Innenkreise. Bei Marken mit versetzter Prägung und Originalgummi kann man deutlich erkennen, dass diese Bruchlinien auch durch die Prägung verlaufen. Daraus lässt sich folgern, dass der Druck nach der Gummierung erfolgte.
Auch das Druckbild ist bei Marken mit versetzter Prägung innerhalb der Prägung gleichmäßig. Scheinbare Farbverläufe und Farbkonzentrationen innerhalb der Prägung sind in der Regel auf Schattenwürfe zurückzuführen, die bei der Belichtung durch einen Scanner oder eine Kamera entstehen. Echte Farbverläufe würden häufiger auftreten, wenn man auf geprägtes Papier drucken würde.
Die Zähnung
Als letzter Arbeitsschritt der Produktion folgte die Zähnung. Die Brustschildausgaben wurden mit der sogenannten Kammzähnung versehen. Die Durchlochung in den Zwischenräumen der Marken erfolgte mit einer Perforiermaschine, die jede einzelne Marke in einer horizontalen Reihe im Bogen auf einmal 3-seitig lochte. Die einzelnen Nadeln sind jeweils hohl und scharf, so dass die Löcher nicht einfach durch Stechen entstehen, sondern durch Ausstanzen kleiner runder Papierstücke. Über die gesamte Breite des Bogens betrachtet ist die Anordnung der Nadeln ähnlich einem Kamm. Daher auch der Name Kammzähnung
.
Das hat zur Folge, dass die Marken in der Regel am Oberrand an den Ecken jeweils gleichmäßig gezähnt erscheinen. Wohingegen dann an der Unterseite sich die Ecken von den oberen Ecken unterscheiden können, je nachdem wie genau der Kamm
bei seinem nächsten Durchstoß den Zwischenraum getroffen hat. Es ist anzunehmen, dass die Bogen auch seitenverkehrt in die Maschine eingelegt wurden, so dass die sich rechts und links gleichmäßig gegenüberliegenden Ecken an der Unterseite der Marke auftauchen und die oberen Ecken unterschiedlich sind.
Da es bei den ersten Brustschildausgaben mit kleinem Schild häufiger Marken gibt mit sogenannter rauer Zähnung
, kann man annehmen, dass mehrere Bogen gleichzeitig gezähnt wurden, der Stapel aber mitunter zu dick war für die Nadeln, so dass die unteren Bogen nicht mehr richtig durchbohrt werden konnten. Bei den großen Schilden kommt dies weitaus seltener vor. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Herstellung der kleinen Schilde unter Zeitdruck geschah, um sie rechtzeitig zum 1.1. 1872 an die Postschalter zu bringen, wohingegen man mit den großen Schilden etwas mehr Zeit hatte und nicht so viele Bogen gleichzeitig gezähnt hat.
Auch die fehlenden Zähnungslöcher (FZL) tauchen bei den kleinen Schilden sehr viel häufiger auf als bei den großen Schilden. Auch hier kann man annehmen, dass der Grund der Termindruck war und die ein oder andere defekte Nadel kein Grund war, die Produktion zu unterbrechen.
Um all diese Indizien und Beweise zu einem Gesamtbild zusammenfügen zu können, benötigt man viel unterschiedliches Material, das nicht zuletzt durch die unterschiedlichen Sammlungs-Spezialisierungen und den Erfahrungsaustausch der Mitglieder innerhalb der ARGE zusammengetragen wurde. Man benötigt Marken mit verschiedenen Randstücken, mit versetzten Prägungen, mit fehlenden Zähnungslöchern, mit rauer Zähnung, mit Schraubenkopfabdrucken, solche mit Originalgummi und Kombinationen daraus.
Erst aus dem Gesamtbild aller dieser Aspekte der unterschiedlich motivierten Sammelleidenschaften für die Brustschildmarken lässt sich der Produktionsprozess nachvollziehen.